Nachhaltigkeit und Effizienz: Der digitale Produktpass als Wegbereiter für die Kreislaufwirtschaft

Ganz gleich, ob im Geschäftsverkehr mit Kunden oder Verbrauchern, ob in B2C oder B2B, überall geht es schon jetzt weit über technische und gestalterische Produkteigenschaften hinaus. Bereits heute werden nicht nur profan Produkte verkauft, sondern bei vielen auch eine Geschichte dazu. Stellen Sie sich vor, auch Ihr Unternehmen positioniert sich am Markt noch deutlicher als bisher, wenn es zu seinen Produkten auch eine Geschichte zu Nachhaltigkeit, Transparenz, Innovation und dem Streben nach einer wirklichen Kreislaufwirtschaft erzählt. 

Dass diese Vorstellung nicht dem Märchenbuch entspringt, beweist der digitale Produktpass (DPP). Er wird künftig eine wichtige Rolle für alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette und natürlich den industriellen bzw. privaten Endanwender spielen - als ein Werkzeug, das es ermöglicht, Entstehung, Wert und Nachhaltigkeit von Produkten darzustellen.

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AUF DEN PUNKT




Was ist der digitale Produktpass?


Hinter dem digitalen Produktpass (DPP) steht ein innovatives Konzept, welches darauf abzielt, die Transparenz entlang der gesamten Produktions- und Lieferkette bis hin zum Recycling von Produkten zu verbessern. Er ist ein zentraler Bestandteil des European Green Deals (EGD). Mit dem EGD verfolgt die EU das Ziel, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Dabei spielt der DPP für das Erreichen des Ziels eine tragende Rolle: Er ermöglicht Unternehmen und Verbrauchern, nachhaltige Entscheidungen zu treffen, indem er beispielsweise die Herkunft der Rohstoffe oder Umweltauswirkungen im Produktlebenszyklus transparent darstellt. So kann unter anderem Ressourcenverschwendung erkannt sowie reduziert werden, was im Umkehrschluss eine umweltgerechte Kreislaufwirtschaft – von der nachhaltigen Rohstoffgewinnung bis hin zum fachgerechten Recycling fördert.

Der Produktpass gibt in einem Datensatz den Lebenslauf des Produkts wieder und stellt relevante Informationen entlang der gesamten Lieferkette bereit – quasi als digitaler Zwilling des physischen Produkts. Dazu werden Produktdaten, die größtenteils auch schon bisher entlang der Wertschöpfungskette an vielen verschiedenen Stellen erfasst und dann in unternehmensinternen Datensilos abgelegt wurden, allen Stakeholdern zur Verfügung gestellt und leicht zugänglich als NFC-Chip, QR-Code oder RFID-Tag an Produkten angebracht.

Relevante Produktdaten beziehen sich zum Beispiel auf Rohstoffgewinnung, Produktion, Reparierbarkeit oder Lebensdauer und Wiederverwertungsmöglichkeiten. Die Grafik veranschaulicht den Zyklus eines Produktes in der Kreislaufwirtschaft und verdeutlicht, welche unterschiedlichen Bereiche in den digitalen Produktpass einzahlen bzw. von seinen Daten profitieren können.


Die neue Ökodesign-Verordnung, die die EU-Mitgliedstaaten im November 2023 beschlossen haben und die fast alle Produkte betreffen wird, stößt dazu die Umsetzung des DPP geradezu praktisch an. Die Verordnung selbst stellt zwar keine Anforderungen an einzelne Produkte, formuliert jedoch grundlegende Verpflichtungen, die zukünftig in nachgeordneten Regelungen für konkrete Produktgruppen untersetzt werden müssen und den kompletten Produktlebenszyklus betreffen. Ins Blickfeld rücken Aspekte wie Energie- und Ressourceneffizienz oder Wasser-, Boden- sowie Luftverschmutzung. Nach endgültigem Inkrafttreten der Verordnung - voraussichtlich noch im zweiten Quartal 2024 - wird die Europäische Kommission diese Produktregelungen im ersten Schritt für Möbel, Textilien und Schuhe, Eisen, Stahl, Aluminium, Reinigungsmittel und Chemikalien auf den Weg bringen. Weitere Produktgruppen werden folgen. Um die besonderen Belange von KMU zu berücksichtigen, sind bzgl. der verpflichtenden Verwendung des DPP Übergangsfristen vorgesehen. Dennoch ist es mehr als ratsam, sich bereits heute mit den kommenden Anforderungen zu beschäftigen, um die Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern.


Wozu dient der digitale Produktpass?


Eines der Hauptziele des DPP besteht darin, Verbrauchern und Unternehmen fundierte wirtschaftliche und ökologische Entscheidungen zu ermöglichen, indem sie Zugang zu detaillierten kreislaufwirtschaftrelevanten Produktinformationen erhalten. Dies schafft ein höheres Maß an Transparenz und ermöglicht es, bewusstere Kaufentscheidungen zu treffen. Zusätzlich soll der DPP als Instrument zur Förderung von ökologischer und sozialer Verantwortung in der Wirtschaft dienen. Die Verpflichtung zum Erstellen und Pflegen des DPP wird Unternehmen – und das nicht nur aus Wettbewerbsgründen - dazu bringen, ihre Geschäftspraktiken ganz besonders auf Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit bzw. Kreislaufwirtschaftstauglichkeit zu überprüfen, ggf. sogar entsprechend zu optimieren. Ein weiteres zentrales Ziel des DPP ist, der Vernichtung von gebrauchsfähigen Konsumartikeln entgegenzuwirken. Da der Pass detaillierte Informationen über die Herkunft, Herstellung, Nutzung und Entsorgung der Produkte bereitstellt, ermöglicht er eine bessere Identifizierung von Möglichkeiten für Wiederverwendung, Reparatur und Recycling. Unternehmen können dadurch bewusstere Entscheidungen hinsichtlich Weiternutzung bzw. Recycling treffen und Ressourcen schonen, anstatt bestimmte Produkte unnötig zu entsorgen. Darüber hinaus kann der DPP die Verbraucher ermutigen, Produkte reparieren zu lassen, anstatt sie wegzuwerfen. Denn dank des DPP wissen sie dann um den Fakt der Reparierbarkeit.

Chancen und Herausforderungen des digitales Produktpasses


Die Einführung des DPP birgt für Unternehmen sowohl Chancen als auch Risiken. So bietet er zum einen die Möglichkeit, datenbasierte Entscheidungen zu treffen und die Ressourcen- und Kostenoptimierung zu verbessern. Verbraucher erhalten fundierte Informationen und können bewusstere Kaufentscheidungen treffen, was wiederum das Vertrauen in die entsprechenden Unternehmen stärkt. Durch Informationen zum Recycling und zur richtigen Entsorgung landen zudem weniger Abfälle auf Deponien und die Wiederverwendung sonst kritischer Rohstoffe wird erleichtert. Dies fördert eine gelebte Kreislaufwirtschaft und steigert die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.

Detaillierter betrachtet stehen somit folgende Vorteile im Vordergrund:

Nachhaltigkeit

Der digitale Produktpass ermöglicht einen ganzheitlichen Blick auf den Produktlebenszyklus. Die Verfügbarkeit von umfassenden Informationen zu Herstellung, Materialien und Umweltauswirkungen macht nachhaltige Entscheidungsprozesse für Unternehmen und Verbraucher möglich. Umweltfreundliche Produktionspraktiken und -designs steigern die Recycling- und Entsorgungseffizienz, wodurch durchaus deutliche Reduzierungen von CO2-Emissionen erreicht werden können. Außerdem geben die Daten im Produktpass Informationen zur Wiederverwendung von Produkten oder Komponenten, was zur besseren Verwertung der entsprechenden Materialien und einer erhöhten Rückgewinnung kritischer Rohstoffe führt.

Wirtschaftlichkeit

Die Transformation zur Kreislaufwirtschaft bringt für Unternehmen neben Vorteilen für die Nachhaltigkeit auch nicht zu unterschätzende neue wirtschaftliche Möglichkeiten. Detailreiche Produktinformationen machen individuelle, speziell auf die Kundenbedürfnisse angepasste Angebote möglich. Es eröffnen sich so oftmals komplett neue Geschäftsmodelle im Bereich des Produkts und der Kreislaufwirtschaft. Das Vorhandensein transparenter Datenmengen entlang der Liefer- sowie Wertschöpfungskette bringt dank entsprechender Analyse und Bewertung Effizienzsteigerungen und Risikominimierungen mit sich, die wiederum zu reduzierten Kosten und optimierten Produktionsprozessen beitragen. Im Endeffekt steigt so der Gewinn des Unternehmens.

Compliance

Der digitale Produktpass bzw. seine Daten bieten im Regelungsumfeld die Chance der „Zweitverwertung“. Die verbesserte Transparenz entlang der Lieferkette ermöglicht den Unternehmen, die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette zu gewährleisten und dies so in der Nachhaltigkeitsberichterstattung niederzulegen. Vorhandene Informationen über Materialien und ihre Emissionen in der Lieferkette können zum Beispiel im Rahmen des Berichts zu Scope-3-Emissionen genutzt werden.

Es mag an dieser Stelle wie eine Binsenweisheit klingen: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Sprich: Es gibt natürlich auch einige Herausforderungen, die sich aus dem digitalen Produktpass ergeben. Ein zentraler Punkt ist das Datenmanagement. Die saubere und strukturierte Verwaltung der umfangreichen Daten entlang der gesamten Lieferkette kann besonders dann eine Herausforderung darstellen, wenn verschiedene Systeme und Akteure involviert sind. Ein weiterer Faktor ist die notwendige kontinuierliche Aktualisierung der Informationen im DPP. Um Genauigkeit und Relevanz zu gewährleisten, ist es unabdingbar, die Produktdaten regelmäßig zu aktualisieren. Dies erfordert einen fortlaufenden Prozess der Datenerfassung und -pflege. Die technische Integration maschinenlesbarer Technologien wie NFC-Chips, QR-Codes oder RFID-Tags kann ebenfalls herausfordernd sein, da es unter Umständen erforderlich wird, bestehende Prozesse und IT-Infrastrukturen anzupassen, unter Umständen sogar neu aufzubauen, um diese Technologien auch wirklich nutzen zu können. Außerdem müssen die Unternehmen sicherstellen, dass der DPP den regulatorischen Anforderungen entspricht, was in Anbetracht der noch nicht endgültig definierten produktspezifischen Regelungen schwierig sein kann. Es kann der Umstand eintreten, dass Vorgaben branchenspezifisch variieren, was dann zu einer hohen Komplexität führt. Unternehmen sind deshalb gefordert, hier flexibel zu agieren und sich permanent auf dem aktuellen Stand der Neuerungen zu halten. Schließlich ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass vor allem das Vertrauen der Verbraucher und Unternehmen von entscheidender Bedeutung für den Erfolg des DPP ist. Dieses allerdings ist nur zu erreichen durch Compliance, Kommunikation und Transparenz.


Fazit

 
Der DPP spielt eine wichtige Rolle bei der Förderung der Kreislaufwirtschaft, weil dank seiner Daten die Lebenszeit von einmal hergestellten Produkten optimiert, wenn nicht sogar verlängert werden kann. Damit einher gehen die Förderung von Recycling und Wiederverwendung sowie die Minimierung des Einsatzes von neuen Ressourcen. Eine verbindliche Nutzung ist für zahlreiche Produkte in der EU auf den Weg gebracht. Es liegt nun an den Unternehmen, sich frühzeitig mit der Materie zu beschäftigen, um Schritt zu halten, die Kreislaufwirtschaft mit Leben zu füllen und so letzten Endes die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. 

Bleiben Sie wissbegierig!